Ein Blick nach oben
Viele Menschen glauben, dass Skandinavien aus Schnee, Schispringern und Preiselbeeren besteht. Gelebt wird in kleinen roten Schwedenhäuschen mit Möbeln, die beim blau-gelben Möbeldiskonter erworben wurden. Doch weit gefehlt. Die skandinavische Gestaltungskunst basiert neben langer Tradition auch auf stetem Erfindergeist. [ weiter ]
Manche behaupten, der Ursprung skandinavischer Architektur läge in einer bis 1899 gemalten Serie von Aquarellbildern – Werke des Malers Carl Larsson. Diese zeigen Szenen aus seinem Wohnhaus und dienten vielen als Vorbild für die eigene Einrichtung. Zu dieser Zeit hatten auch in Skandinavien schwere Möbel aus industrieller Fertigung Hochkonjunktur. Larssons Bilder zeigen überraschend leere Räume, schlichtes Mobiliar. Ein Gegenentwurf.
Ein Jahr nach der Bilderserie erblickt in Finnland Alvar Aalto das Licht der Welt. Dieser errang ab den 1930er-Jahren mit seiner Architektur und seinen Möbelentwürfen Weltruhm. Aalto entwickelte raffinierte und bis heute viel kopierte Bugholztechniken. Zeitgleich sorgte von Dänemark aus Arne Jacobsen für Aufsehen. Mit seinem Team realisierte er eine Vielzahl von Bauwerken.
Eine 1937 entstandene Tankstelle bringt die Arbeitsweise Jacobsens auf den Punkt: Die präzise Mischung von Reduktion und Funktion begleitet die Suche nach der bestmöglichen und atmosphärisch stimmigsten Raumkonfiguration. Die Entwicklung von Mobiliar, Türgriffen und Leuchten rundet das Werk des Dänen ab. So zum Beispiel die Lounge-Stühle ‚Aegget‘ und ‚Svanen’, die in Hotellobbys sehr beliebt sind.
Der gute Ruf skandinavischer Gestaltung hält auch heute noch an und oftmals gelten die selben Tugenden wie damals. So hielt es auch der nordische Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig im vergangenen Jahr. Knapp 300 zwischen 2008 und 2016 in Norwegen, Schweden oder Finnland realisierte Bauwerke wurden durch einen Open Call zum Vorschein gebracht.
Beim Durchsehen der Auswahl fällt auf, dass heute wie damals viele Lösungen von einer Suche nach Neuem sowie von raffiniertem Pragmatismus geprägt sind. Teil dieser Sammlung waren etwa die von Tham & Videgård erbaute School of Architecture Stockholm, ein Wohnhaus mit gläsernem Erdgeschoss von Elding Oscarson, der vielen bekannte Rentier-Pavillon von Snøhetta und ein von Reiulf Ramstad Arkitekter realisierter Osloer Kindergarten. Die Konstruktionselemente der genannten Bauten fallen meist fein aus, die Materialwahl besticht durch Reduktion. Sehr oft gibt es eine übergeordnete Idee zu entdecken. Diese bezieht sich auf Lichtstimmungen, Ausblicke, das Tun der Landschaft.
(Text für 20er 02/2017)