„Fahrrad, Fahrrad, fahr Rad!“
Menschen, die ihre täglichen Wege in der Stadt mit dem Fahrrad zurücklegen, entlasten die Allgemeinheit. Dänemark geht in Sachen Rad-Freundlichkeit als gutes Beispiel voran.
[ weiter ]
Überall da, wo man an das Auto als Fortbewegungsmittel für die täglichen Wege gewöhnt ist, ist die Mehrheit gegen den Ausbau von Fußgängerzonen und Radwegen. Händlervereinigungen warnen vor dem Ausbleiben von Kundschaft, wenn diese nicht mit dem Auto ins Ortszentrum vordringen darf. Ein Absurdum. Seit Jahrzehnten kämpfen Läden in der Mitte von Agglomerationen gegen am Rand lauernde Einkaufszentren. Und diese funktionieren vor allem weil sie mit dem Auto jederzeit erreichbar sind. Sitzt der Mensch erst hinterm Lenkrad rückt die zurückzulegende Distanz in den Hintergrund. Mit beheizter Anreise und individueller Musikuntermalung wird das Einkaufen am Ortsrand zur bequemen Sache – und ruiniert so sozialen Raum. Den kleinen Markt ums Eck kürzen wir so selbst aus unserem Leben. Die Möglichkeit dort jemandem zu begegnen ebenso.
Wollen wir eine angenehme Dorfmitte, eine belebte Innenstadt, so bekommt das Fahrrad eine zentrale Rolle. Das Rad kombiniert die Möglichkeit rasch voranzukommen mit den Vorzügen des Flanierens per Fuß. Es bringt Menschen punktgenau ans Ziel, es transportiert Einkäufe, man sieht und wird gesehen und kann sich jederzeit am Wegrand mit jemandem unterhalten. Oben drein stößt es keine Schadstoffe aus, ist leise und besetzt in geparktem Zustand sehr wenig Fläche.
Die Zukunft von Innenstädten und Dorfmitten liegt darin, Menschen – Einheimischen wie Gästen – Lebensqualität zu bieten. Möglicherweise kleines, jedenfalls aber gut sortiertes Warenangebot. Eine Konditorei, ein Markt mit frischen Produkten aus der Umgebung, eine Bücherei. Wer ein Zentrum mit hoher Lebensqualität schaffen will muss – fahrende und geparkte – Kraftfahrzeuge loswerden. So sinkt der Lärmpegel, es stinkt nicht mehr nach Abgasen und man gewinnt wertvollen Raum im Stadt- bzw. Ortszentrum. Ein zusätzlicher Nebeneffekt dieser Maßnahme ist die Reduktion von Gefahrenquellen im Straßenverkehr. Besonders für Kinder werden alltägliche Wege so ungefährlicher. Verhindert die Kommunalpolitik diese Entwicklungsmöglichkeiten, so sprechen wir entweder von bizarrer Visionslosigkeit oder von vorsätzlicher Stärkung der ortsnahen Gewerbezone. Beide Konzepte sind nicht zukunftsfähig.
Wie bringen wir also mehr Menschen auf das Fahrrad? Blicken wir nach Dänemark. Dessen Hauptstadt Kopenhagen sich als eine der Fahrradhauptstädte Europas positioniert hat. Das aber auch in kleineren Städten wie Aarhus dem Fahrrad den roten Teppich ausrollt. Im hohen Norden ist der Winter windig, dunkel und kalt – auch in der warmen Jahreshälfte stürmt es nicht selten. Zudem erfordern ausgedehnte Stadtstrukturen im Alltag das Überwinden beachtlicher Strecken – nicht selten 10km und mehr von Start bis Ziel. E-Bikes sucht man vergebens, Frau und Mann fahren klassische Stadträder mit wenigen Gängen. Familien und Handwerker steigen auf ein Lastenrad.
Laut dem Modal Split, die Verkehrsstatistik gibt Auskunft über die Verteilung auf unterschiedliche Verkehrsmittel, liegt der Anteil der mit dem Fahrrad zurückgelegten Fahrten in Kopenhagen bei 36%. In Innsbruck – eine Stadt von wesentlich geringerer Ausdehnung – fallen nur 22% auf das Fahrrad. In zentral gelegen Gemeinden Tirols sinkt der Radanteil gar auf 13%.
In Kopenhagen gibt es einen Masterplan, der vorsieht das Rad dem Automobil vorzuziehen. Ein Kernelement dieser Revolution: das Fahrrad musste zum sicheren Verkehrsmittel werden. Deshalb ist ein Radweg hier fast immer eine bauliche Maßnahme und jedenfalls Teil eines lückenlosen Netzes. Nicht selten ist der Radweg heute da zu finden, wo vor einigen Jahren noch Autos geparkt wurden. Das Tempo für Auto und Fahrrad wurde in der Innenstadt auf 30km/h reduziert. In manchen Straßen wurde die Ampelschaltung zudem so verändert, dass Radfahrer immer einen Zeitvorteil gegenüber Automobilen bekommen. Das Ziel solcher Maßnahmen ist eine Botschaft: Nimm das Rad, denn damit bist du immer schneller!
Die Händlerschaft profitiert vom kollektiven Umstieg auf das Rad. Entlang der Fahrrad-Highways gelegene Läden florieren, ein Fachgeschäft mit Schaufenster macht plötzlich auch dort Sinn wo vor einigen Jahren die Mehrheit mit dem Auto vorbei gerast ist. Ein Mensch am Rad nimmt seine direkte Umgebung besser wahr und kann außerdem fliegend von der Straße in den Laden wechseln – ganz ohne Parkplatzsuche.
Die Optimierung der Infrastruktur feiert den Umstand, dass das Fahrrad längst ein populäres Verkehrsmittel für Alle geworden ist. Bauliche Maßnahmen werden nicht selten dazu verwendet eben diese Botschaft in die weite Welt hinauszurufen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die vom dänisch-isländischen Künstler Ólafur Elíasson gestaltete Fahrrad- und Fußgängerbrücke über den Kopenhagener Christianshavn Kanal. Die Brücke wird seit 2015 von Fußgängern und Radfahrern benutzt. Fünf kreisförmige Plattformen schmiegen sich aneinander und schließen so die durch den Kanal entstandene Lücke. Plattformen, die zur Begegnungszone werden – denn entlang eines Weges ist eine Engstelle immer eine Möglichkeit sich näher zu kommen.
So sollten wir es auch machen! Es ist höchste Zeit, dass auch wir hier in den Alpen das Fahrrad stärker in unseren Alltag integrieren. In Nordtirol fehlt es an herzeigbaren Verweilorten und funktionierenden Ortszentren. Ein mutiger Mobilitätswandel, der Fußgänger und Radfahrer bevorzugt behandelt, wird den Zentren von Gemeinden und kleinen Städten auch hierzulande neues Leben einhauchen.
(Text für 20er 04/2018)