für BIG-Art und Johannes Wiesflecker
2012–2013, Kufstein, Österreich
Kunst am Bau / Knitterwand
Karl-Heinz Klopf
Publikation
Mole #09/2012
SKIN, Juni 2013
Auszeichnungen für das Bauwerk
2014, Anerkennung des Landes Tirol für Neues Bauen
Liebling, ich hab die Wand zerknittert
In Kufstein wurde während des Sommers eine vier Stockwerke hohe Betonwand zerknittert. Die schier unmöglich anmutende Aktion wurde durch minutiöse Planung und Umsetzung Realität.
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Es ist unglaublich schwierig, ein zerknittertes Blatt Papier zu zeichnen. StudentInnen an Kunstuniversitäten und Architekturfakultäten wissen das und erinnern sich oft nur ungern an diese Lektion im Zeichenkurs zurück. Über Wochen blieben die ProfessorInnen hartnäckig, forderten feinste Facetten und Schattierungen, scharfe und trotzdem gebogene Kanten und all das zigtausendmal. Am Ende der Übung war man, die zeichnerischen Fertigkeiten betreffend, einen Schritt weiter. Handwerkliche Fähigkeiten überschatteten für ein paar Augenblicke die sonst alltägliche Arbeit am Computer.
Vielleicht musste auch Karl-Heinz Klopf zerknitterte Papierblätter zeichnen, als er an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz studierte. Vielleicht hat er sich im Frühjahr 2011 eben daran erinnert, als ihn die BIG Art als einen von sechs KünstlerInnen zu einem Wettbewerb eingeladen hat. Der großzügige Zubau zum Gymnasium Schillerstraße Kufstein sollte durch Kunst am Bau bereichert werden.
Kunst am Bau begleitet die meisten Projekte der Bundesimmobiliengesellschaft, kurz BIG, die auch Zubau und Revitalisierung des Kufsteiner Gymnasiums in Auftrag gegeben hat. Da es für Kunst am Bau aber in jedem Bundesland unterschiedliche Regelungen gibt, hat sich die BIG 2005 dafür entschieden, ein eigenes Team aufzustellen, das sich rein um die Entwicklung und Realisierung von Kunst am Bau kümmern soll, die BIG-Art.
Wesentlich dabei ist, dass BIG-Art über ein Budget verfügen kann, das nicht durch Mieteinnahmen hereingebracht werden muss. Die BIG will ihren Mietern Kunst als kostenlosen Mehrwert bieten.
Den 2009 von der BIG ausgeschriebenen Architektenwettbewerb für die Umgestaltung des Gymnasiums konnte der in Innsbruck ansässige Architekt Johannes Wiesflecker für sich entscheiden. Das Bauprojekt überzeugte die Jury durch seinen städtebaulichen Ansatz, den Umgang mit der Bausubstanz und die Organisation der neuen Innenräume.
Um den ausführenden Architekten herum bildete BIG-Art eine Jury. Dieser gehörten ein Fachbeirat und die Schulleitung an. Gemeinsam wurde eine nach Südosten ausgerichtete Fassadenwand als Spielfeld für die eingeladenen KünstlerInnen vordefiniert. Bei Projekten dieser Größenordnung ist es wesentlich, dass der Architekt ein Mitspracherecht erhält. Greifen die Entwürfe der eingeladenen KünstlerInnen und des Architekten nicht fugenlos ineinander, würden sich beide Projekte in gestalterischer Unglückseligkeit verlieren. Beim Vorschlag des gebürtigen Linzers Karl Heinz Klopf war sich die Jury sicher, dass dies nicht passieren könne.
Klopf hatte einen ebenso einfachen wie raffinierten Vorschlag angeboten. Er hat ein DIN-A4-Blatt zerknüllt, es wieder ausgebreitet und als Ausgangspunkt für die Gestaltung der Wand verwendet. Ein DIN-A4 großes Papierblatt misst 0,21 m x 0,297 m, die Knitterwand, Breite x Höhe, 12 m x 15,5 m, ist etwa 55-mal größer als das Ausgangsformat. Das Blatt sollte in eine andere Beschaffenheit und Dimension transformiert, mit einer anderen Bedeutung aufgeladen werden. So übernimmt die Wand die Struktur des direkt hinter ihr liegenden Burgberges. Sie vereint sich zur richtigen Tages- und Jahreszeit mit ihrem Hintergrund und soll dadurch den Schulbau temporär verschwinden lassen. Man entschied sich die Knitterwand nicht zu verputzen, auch die Spuren der Fertigung sollten erkennbar bleiben. Roh belassener Beton reagiert auf seine Umgebung: Bei gleißender Mittagssonne scheint er weiß zu sein, eine regennasse Betonoberfläche wirkt beinahe schwarz. Durch ihre strukturierte Oberfläche wird die Knitterwand auch ungleichmäßig auftrocknen. Fallender Schnee wird nur an manchen Stellen liegen bleiben. Die Eigenschaften der Knitterwand erinnern stark an Felswände. Karl Heinz Klopf spielt ganz bewusst damit und verleiht so dem Bauwerk eine sich stetig verändernde Außenhaut, ganz ohne technische Tricks.
Da die Wand der Schule vorgelagert wird – es entsteht ein oben und unten offener, circa 1,5 m tiefer Luftraum – und so auch die Innenräume der Schule prägt und gestaltet, wurde sie beidseitig mit zerknitterter Oberfläche ausgeführt, was zusätzliche Schwierigkeiten bereitete.
Üblicherweise genügt eine aus Schaltafeln gefertigte Form, um eine Betonwand zu gießen. Die unregelmäßige Oberfläche der Knitterwand machte aber zusätzliche Arbeitsschritte notwendig. Mittels modernster Scantechnik wurde das Blatt Papier mit all seinen Ritzen und Falten vermessen. Die ge- sammelten Daten wurden anschließend in wochenlanger Handarbeit von Bildhauern auf Styroporblöcke übertragen. Diese wurden dann, als formgebende Schicht, mit handelsüblichen Schaltafeln zu einer riesigen Gussform verbunden. Beton, gewissermaßen flüssiges Gestein, verträgt zwar jede Menge Druck, reagiert jedoch schlecht auf Zug. Daher musste der Zwischenraum vor dem Betoniervorgang, wie auch bei geraden Wänden üblich, mit Bewehrungseisen ausgefüllt werden. Bei der Knitterwand glich der mit Eisenstäben zu füllende Spalt einer mehrfach zum Quadrat genommenen Achterbahn. Die Betonierarbeiten zogen sich dann über drei Wochen hin. Für alle am Bau Beteiligten ein Vorhaben mit ungewissem Ausgang – schließlich wurde bisher kein vergleichbares Objekt realisiert.
Nach der obligatorischen Aushärtungszeit konnte man mit dem Entfernen der Schalung beginnen. Mit Gartenhauen wurden die gröbsten Styroporteile entfernt, den Rest erledigte ein Dampfstrahler. Zentimeter für Zentimeter legten die Arbeiter so frei, immer mehr wurde von der zerknitterten Betonwand sichtbar. Die Baustelle ähnelte einer archäologischen Ausgrabungsstätte. Allein vier Wochen hat es gedauert, bis die Wand, innen wie außen, frei von Styropor war.
Erstmals zeigte die Knitterwand dabei auch ihre klimatischen Fähigkeiten. Denn mit Abschluss der gröbsten Arbeiten zog strahlendes Sommerwetter auf. Während die Außenseite der Wand, die ohne Dämmschicht auskommt, von der Sonne aufgeheizt wird, kann im Inneren bei angenehmen Temperaturen gearbeitet werden. Bewusst hatte sich das Architektenteam dazu entschieden, die Schule mithilfe einer Betonwand vor Mittagssonne zu schützen. Lichteinlässe bietet das Bauwerk andernorts.
Seit die Knitterwand ihre Struktur zeigt, bleiben PassantInnen stehen, um sie genauer zu betrachten. Erinnert sie die zerknitterte Wand an die eigene Schulzeit? Ans Probieren und Scheitern, an vor Ärger zerknitterte Mathematik-Tests, an unzählige Papierknäuelschlachten? All diese Gedanken stecken in der von Karl-Heinz Klopf erdachten Wand. Diese sollte eben deshalb nicht kletterbar sein. Klopf wollte verhindern, dass jegliche Interpretation im Keim erstickt wird. Die Wand soll keinesfalls als Sportgerät identifiziert werden. Sie soll ein Gestaltungselement für den direkt unter ihr liegenden Schulhof sein und als solches auch Teil von Freiluftaufführungen der Schultheatergruppe werden.
Während die Hälfte der neuen Klassenräume des Gymnasiums einen direkten Blick zur Festung Kufstein hinüber bieten kann, wird die Knitterwand alle restlichen Räume, auch die neue Schulbibliothek, prägen. Sie stellt ein mehrgeschossiges Diorama dar, das den SchülerInnen als Projektionsfläche für geistige Achterbahnfahrten, hoffentlich auch während der Unterrichtszeit, dienen wird. Sie schafft ein einmaliges Umfeld, das bei Lehrenden und Lernenden Spuren hinterlassen sollte. Gut vorstellbar, dass junge KufsteinerInnen an den Universitäten dieser Welt künftig auch durch besonders virtuoses Zeichnen von zerknitterten Papierblättern auffallen werden. (Text für Mole#09/2012)